Diese Rede der Roten Hilfe wurde auf der DSSQ-Kundgebung am 29.11.2020 vor dem Duisburger HBF gehalten.
Liebe Duisburger und liebe Duisburger*innen,
Antifaschismus ist das Gebot der Stunde! Das scheint selbst die Bundesregierung so zu sehen, die am vergangenen Mittwoch, den ein Maßnahmenpaket gegen Rechts verabschiedet hat, das für die Jahre 2021 bis 2024 eine Milliarde Euro vorsieht, für Bereiche wie: Politische Bildung, Stärkung des Opferschutzes und „Verbesserung des fachlichen Austauschs und der Zusammenarbeit zwischen Zivilgesellschaft und Sicherheitsbehörden“. Soweit so gut. Aber das sind Absichtserklärungen! Die Realität spricht eine andere Sprache: Vor genau einem Jahr wurde der größten Organisation von Antifaschist*innen in der Bundesrepublik, der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) die Gemeinnützigkeit entzogen. Begründet wurde dies mit der Nennung der Organisation als „bundesweit größte linksextremistisch beeinflusste Organisation im Bereich des Antifaschismus“ im bayerischen Verfassungsschutzbericht. Die Auschwitz-Überlebende Esther Bejarano erklärte dazu: „Ja, warum sind denn Kommunisten in diesem Verein? Weil sie die Ersten waren, die von der NSDAP verfolgt worden sind! … Sie gehörten zu den wenigen, die gegen die Nazis gekämpft haben … das darf doch nicht der Grund sein, uns die Gemeinnützigkeit zu entziehen. Was kann gemeinnütziger sein als Antifaschismus? Es ist eine Arbeit für die Gesellschaft.“
Weiter: Nach dem sogenannten „Sturm auf die Reichstagstreppen“ am 30.8.2020 in Berlin, fanden weder Hausdurchsuchungen noch Festnahmen bei Querdenkenden, Reichsbürger*innen oder Neonazis statt, sondern am 1.9.2020 erfolgte eine Großrazzia gegen den Roten Aufbau in Hamburg, Niedersachsen und NRW. Wieder gibt der Verfassungsschutz als eines der Hauptbetätigungsfelder der Organisation Antifaschismus an!
Und als dann Mitte September in NRW nur durch Zufall rechte Chatgruppen bei der Polizei in Mülheim und Essen aufflogen, fiel es den beiden Innenministern von Land und Bund (Herbert Reul und Horst Seehofer) sichtlich schwer, ein strukturelles Problem innerhalb der Sicherheitsbehörden zu erkennen. Und dies trotz ähnlicher Fälle im Vorfeld in Hessen und Baden-Württemberg und später in Berlin, trotz NSU 2.0 und Uniter bzw. dem sogenannten Hannibal-Netzwerk, in dessen Zusammenhang der am 17.11.2020 zurückgetretene Innenminister Mecklenburg-Vorpommerns Lorenz Caffier sich eine Handfeuerwaffe gekauft hat! Vielleicht wegen all dem lehnt Horst Seehofer auch bis heute eine unabhängige wissenschaftliche Studie zu Rassismus in der Polizei beharrlich ab! Fast zeitgleich wurde aber im Leipziger Osten ein besetztes Haus geräumt und damit die seit Monaten schwelenden Konflikte im Stadtteil Connewitz wieder angeheizt, mit dem Ergebnis, dass es über mehrere Tage zu nächtlichen Auseinandersetzungen mit der Polizei kam, die geeignet waren die öffentliche Aufmerksamkeit auf eine „Gefahr von links“ zu lenken! Wie auch die Räumung des Hausprojektes Liebig34 Anfang Oktober in Berlin dazu genutzt wurde, entgegen aller Statistiken, auf eine „steigende Gewaltbereitschaft von Links“ zu verweisen. Zum Beweis berichtete der Rundfunk Berlin-Brandenburg am 15.10.2020 von 125 eingeleiteten Strafverfahren und die Zeitung „die Welt“ titelte am 9.10.2020: „Polizei fürchtet „gewaltätige“ Rache (..)“ Trotz der Terror- und Mordserie des sogenannten NSU, trotz der Morde von Hanau, Kassel und Halle, trotz aller aufgedeckten rechtsterroristischen Strukturen, wie „Revolution Chemnitz“ ,„Gruppe Freital“ oder die erst im Januar 2020 verbotene „Comat18“, trotz einer offen militant auftretenden Bewegung von „Preppern“ und „Reichsbürgern“, trotz der Zunahme offen neofaschistischer (Kleinst-)Parteien, wie „die Rechte“ und „Der Dritte Weg“, trotz „Pegida“ und „Hogesa“, trotz „Querdenken“, die mit ihrer „Offenheit“ bzw. Ignoranz gegenüber „Verschwörungstheorien“, Antisemitismus, Nationalismus und antidemokratischen Autokratismus eine Brücke von rechtsaußen bis weit in die bürgerliche Mitte schlägt und vorallem trotz einer AfD, die nur noch ihr rechter Flügel ist, und all die menschenfeindliche Rhetorik der Straße in die Parlamente in Stadt, Land und Bund verlängert und sogar dazu bereit ist, rechter Gewalt die Bundestagstore zu öffnen, also trotz dieser offenen und offensichtlichen „Bedrohungsallianz“ von Rechts, trifft die staatliche Repression vorallem und immer wieder die, die sich aktiv gegen Neofaschist*innen stellen!
So auch in Duisburg:
Wie anders ist es sonst zu erklären, dass an dem Strafverfahren gegen den Duisburger Antifaschisten Cebbar Cockaya, über vier Jahre festgehalten wurde, bis es zum ersten Prozesstag im sogenannten „Regenschirmprozess“ kam? Wie anders ist es sonst zu erklären, dass sich die gesamte Anklageschrift allein aus den Zeugenaussagen der Nazis zusammensetzte, die sich übrigens im Prozess nach nur kurzer Zeit, als Lügen, Absprachen und Falschaussagen erwiesen? Die Staatsanwaltschaft hatte weder eigene Ermittlungen durchgeführt noch die Aussagen umfassend geprüft und so wurde am 12. November 2020 Cebbar vorgeworfen im Januar 2016, am Infostand von Duisburg-stellt-sich-quer (DSSQ), stadtbekannte Neonazis bedroht und angegriffen zu haben, darunter der damalige Anmelder von Pegida-NRW, Marco Schneidereit. Dieser trat nun im Prozess als „Geschädigter“ auf, mit der faustdicken Lüge, dass es am fraglichen Tag einen gewalttätigen Angriff durch Cebbar Kockaya auf ihn gegeben habe. Durch Aufbietung von „unabhängigen“ Zeugen und einer „Hauptbelastungszeugin“ sollte die Verurteilung Kockayas erreicht werden. Diese Strategie ging nicht auf, da die benannten Zeugen, von einer anwesenden Antifaschistin eindeutig als Pegida-Anhänger*innen identifiziert werden konnten und sie außerdem Schneidereit mit ihren Aussagen mehr belasteten als ihm halfen. Zwar behaupteten auch sie, ihn nicht zu kennen und rein zufällig am Ort des Geschehens gewesen zu sein. Doch machten sie, obwohl sie sich eigentlich an gar nichts mehr zu erinnern schienen, eindeutige Aussagen, dass Schneidereit sie vor dem Vorfall mit Pegida-Flugblättern angesprochen habe. Dies widersprach Schneidereits Aussage nur rein zufällig vor Ort gewesen zu sein. Ebenso konnten sie sich an keine gewaltsame Auseinandersetzung erinnern, außer an die mit dem „Regenschirm“, was wiederum die Glaubwürdigkeit der „Hauptbelastungszeugin“ erschütterte. Denn dieser Schirm konnte eindeutig der „Hauptbelastungszeugin“ zugeordnet werden, die ebenfalls von den anwesenden Antifaschist*innen als Pegidistin identifiziert wurde. Auch konnte geklärt werden, dass der Angriff mit eben diesem Schirm von der „Hauptbelastungszeugin“ ausging und den Angeklagten Kockaya und andere anwesende Antifaschist*innen, am Infostand von DSSQ, zum Ziel hatte. Die „Hauptbelastungszeugin“ legte zudem mit ihrer Aussage offen, dass sich alle Zeugen vorher abgesprochen hatten, da sie die Strategie der anderen Zeug*innen kritisierte, hier so zu tun, als ob man sich an nichts erinnern könne. Dies wäre nicht ihre Sache! So verhedderten sich die Neofaschist*innen in dem eigenen Netz aus Lügen, Bezichtigungen und Falschbehauptungen, so dass allen offentsichlich war, dass es den Angriff auf Marco Schneidereit nur in dessen Fantasie gegeben hatte! Am Ende konnte Schneidereit deshalb auch nicht plausibel erklären, warum DSSQ, also die vermeintlichen Täter, die Polizei um Hilfe geholt hatten und nicht er, das angebliche Opfer! Nach knapp drei Stunden Verhandlungsdauer wurde es selbst der Richerin zu viel, so dass die Sitzung unterbrochen und danach die Einstellung des Verfahrens bekannt gegeben wurde. Als Füßnote sei noch erwähnt, dass als Beweisstück ein ärztliches Attest Schneidereits vorlag, welches nur den Verdacht auf Verletzungen (Hirnerschütterung und Hämatome) nahelegte und keine Verletzungen klar und eindeutig dokumentierte! Dieses Attest ist Sinnbild für die Sinnlosigkeit dieses Verfahrens und wirft Fragen über die Rolle der Staatsanwaltschaft und des Gerichts auf! Wieso wird ein Attest, welches nichts attestiert, überhaupt als Beweisstück zugelassen, wieso ermittelte die Staatsanwaltschaft nicht selbst, sondern verließ sich ausschließlich auf die offensichtlichen Lügen der Nazis! Wieso würde das Verfahren überhaupt eröffnet und damit Cebbar Kockaya über vier Jahre mit Ermittlungen, Prozeß und einer möglichen Strafe bedroht? Hatte vielleicht die Staatsanwaltschaft ebenfalls ein Interesse an einer Verurteilung, denn in diesem Jahr fanden und finden noch zwei weitere Verfahren gegen den engagierten Antifaschisten Kockaya statt? Diese Fragen bleiben unbeantwortet.
Was allerdings außer Frage steht, ist die Notwendigkeit einer kritische Prozessbegleitung und einer praktischen Solidarität! Deshalb helft – gerade in diesen Zeiten – mit, die Rote Hilfe aufzubauen! Wir vermitteln Anwält*innen, helfen mit Rat und Tat, organisieren – in über 50 Ortsgruppen – Solikampagnen und – demos oder sind einfach da, wenn es um politische und finanzielle Unterstützung geht. Unsere Solidarität gegen ihre Repression! Antifaschismus ist das Gebot der Stunde! Werdet aktiv! Werdet Mitglied in der Roten Hilfe! Solidarität verbindet!